Das enge, übervolle Atelier Albertos, in dem er seit zwanzig Jahren arbeitete, war ohne Komfort, aber jeder Gegenstand, jedes Stück Wand trug Spuren seiner Arbeit, zeugte von Albertos starker Persönlichkeit. Fremde Besucher waren dort selten, es fanden sich vor allem Freunde und alte Bekannte ein. War er abwesend, orientierte eine kleine Notiz an der Ateliertüre, meist ein alter Briefumschlag, darüber, wo er sich befand oder über die Zeit seiner Rückkehr. Das war um die Mittagszeit nach dem Aufstehen, oder am Abend. Er war zumeist in einem der beiden diagonal gegenüber liegenden Cafés an der Kreuzung Rue d’Alésia/Rue Didot, heute beides Bankfilialen. Hier las er seine Zeitungen, von denen er immer ein Bündel unter dem Arm trug, trank schwarzen Kaffee, oft auch ein Glas Wein, dazu ass er hartgesottene Eier mit Schinken. Im Café schrieb er viele seiner Briefe, während anspruchsvollere Texte am Tisch in seinem Wohnatelier entstanden. Giacometti las erstaunlich viel. Zu meiner Überraschung auch viele Kriminalromane. Der Herausgeber der Krimireihe «Série noire» war ein Freund. Er belieferte Alberto wöchentlich mit einer neuen Ausgabe. Oft waren die Taschenbücher vollgezeichnet. Überall in seinen beiden Räumen türmten sich Bücher, Zeitungen, Zeitschriften. Mir war nie klar, wann er sich durch all dieses Material durcharbeitete. Doch in Gesprächen ergab sich, dass er über alle Werke bestens Bescheid wusste.
Ernst Scheidegger